Deutsche Übersetzung
Vorwort
Über Ninjago gibt es mehr Geschichten zu erzählen, als wir in der Fernsehserie unterbringen können. Häufig werden diese Geschichten niemals erzählt. Uns kommen weitere Ideen, wir entscheiden uns den Schwerpunkt anders zu setzen, die Prioritäten verschieben sich oder wir ändern einfach unsere Meinung.
Dies ist eine dieser Geschichten. Es ist eine Geschichte über Cole und die Narbe, die nach den Ereignissen von Day of the Departed („Tag der Erinnerungen“) auf seinem Gesicht erschien. Was ist das für eine Narbe? Warum ist sie da? Fragen, für die es bisher keine Erklärung gibt, denen ich aber seit dieser Ninjago Sondersendung auf den Grund gehen wollte.
Als ich anfing diese Geschichte zu schreiben, wusste ich nicht, ob ich sie je beenden würde. Ich weiß es auch immer noch nicht, aber zumindest ist sie nun schon etliche Kapitel lang.
Ich schreibe sie unter einem bestimmten Dogma, das ich für mich selbst festgesetzt habe: Kein Kapitel (mit Ausnahme des allerersten) darf länger sein als drei Seiten und ich darf mit dem Schreiben nie weiter sein als drei Kapitel im Voraus zu dem zuletzt veröffentlichten. Die Ideen kommen mir, während ich schreibe und das ist einer der Gründe, warum es Spaß macht diese Geschichte zu schreiben.
Ich kenne das Ende der Geschichte, aber ich weiß noch nicht, auf welchem Wege ich dorthin gelangen werde. Oder ob ich überhaupt dort ankommen werde.
Die Fernsehserie Ninjago ist für Kinder gemacht, aber wir haben das große Glück, dass sie nun schon so lange existiert, dass es mittlerweile Fans gibt, die mit ihr aufgewachsen sind. Das hier ist also für euch, die ihr ein wenig älter seid und einen Ton wertschätzt, der etwas düsterer ist als das, was wir normalerweise in der Serie umsetzen würden.
Einige Autoren haben offizielle Ninjago-Literatur geschrieben. Sie haben tolle Geschichten veröffentlicht, doch häufig fügen sich diese nicht nahtlos in die Handlung und zukünftige Entwicklung der Serie ein.
In Way of the Departed habe ich einige dieser Bücher und Comics mit einbezogen. Und da ich weiß, wohin sich die Handlung der Serie entwicklen wird, bin ich in der glücklichen Lage, dem Kanon nicht widersprechen zu müssen.
Bei dieser Geschichte handelt es sich um Fan-Fiction, die außerhalb des Kanon steht. Aber wenn ihr nach möglichen Antworten zu einigen Themen sucht, die in den kommenden Staffeln von Ninjago nicht geliefert werden sollten, könntet ihr in Way of the Departed fündig werden.
Tommy Andreasen
2017
Kapitel 1
Es ist eiskalt und ich friere schrecklich.
Eigentlich sollte mir gar nicht kalt sein, da ich ja nicht einmal lebendig bin.
Ich bin in einem Eislabyrinth. Es fühlt sich an, als wäre ich schon einmal hier gewesen, und gleichzeitig fühlt es sich an, als ob ich gar nicht hier sein sollte.
Meine Freunde sind bei mir. Sie sehen sich ihre Spiegelbilder in den Wänden aus Eis an und diskutieren darüber, was sie bedeuten. Ihre Reflexionen sehen anders aus. Sie wirken darin älter und weiser. Sie tragen die Robe eines Sensei. Jay ist ganz aus dem Häuschen darüber, dass sein Spiegelbild eine Augenklappe trägt. Er hält das für cool. Dann verändert sich seine Stimmung und er scheint irgendetwas zu verbergen. Wir waren in letzter Zeit nicht gerade die besten Freunde. Ich versuche nicht allzu viel darüber nachzudenken.
Als ich näher an die Eiswand herantrete, wundere ich mich über mein eigenes Spiegelbild. Ich sehe wieder lebendig aus und das ergibt irgendwie keinen Sinn. Meine Hände glühen in einem grellen Orange, aber was mir besonders auffällt, ist das Ding auf meiner Stirn. Eine kleine, grüne Narbe. Ich trete ganz nahe heran, um sie mir genau anzusehen und stelle fest, dass sich darin etwas bewegt. Sie beginnt zu leuchten. Ein Licht blendet mich, als ich in einen Abgrund starre.
Meine Freunde und ich haben schon viele seltsame Dinge und Orte gesehen, aber dieses hier schießt den Vogel ab. Gesichter schweben vorüber, in einem sich ständig drehenden Strudel aus grünem Nebel. Sie sind schwer auszumachen, aber einige kommen mir bekannt vor und ich höre eine Stimme, die ich schon lange nicht mehr gehört habe. Sie ruft meinen Namen, immer und immer wieder. Es schmerzt mich, tief in meinem Inneren, also trete ich einen Schritt von der Wand zurück. Aber mein Spiegelbild reagiert nicht. Es steht einfach nur da und starrt mich mit kalten Augen an. Die Narbe auf seiner Stirn beginnt zu pulsieren. Zunächst nur ganz leicht, aber dann mit voller Macht. Und plötzlich spaltet sich der gesamte Schädel. Das zu sehen ist unerträglich, aber ich kann einfach nicht wegschauen. Der kopflose Körper fällt lautlos zu Boden, aber die Narbe schwebt weiterhin mitten in der Luft. Ich versuche mich wegzudrehen, kann mich aber nicht mehr bewegen. Meine Freunde schwatzen immer noch, aber ihre Stimmen scheinen aus weiter Ferne zu kommen. Mir wird klar, dass dies das Ende ist. Die Narbe wächst immer weiter und ist nun schon genauso groß wie ich. Ich stehe einfach nur da, während sie die Eiswand durchdringt. Sie kommt auf mich zu und verschlingt mich. Alles wird grün.
Das ist der Moment, in dem ich aufwache.
Immer an dieser Stelle. Diesen Traum muss ich nun wohl schon einhundertmal geträumt haben, aber ich habe nie jemandem davon erzählt. Es ist mein Geheimnis, und davon habe ich in letzter Zeit so einige.
Ich bin in meinem Zimmer, bei uns zu Hause, in einem alten Tempel, der fast dreihundert Meter über dem Boden schwebt. Wir wissen nicht, wieso. Eines Tages war es einfach so. Ich habe den Verdacht, dass Jay und Nya irgendwie etwas darüber wissen. In letzter Zeit stehen sie sich ziemlich nahe, machmal necken sie sich und sind ganz eindeutig verliebt, aber manchmal wiederum scheinen sie verunsichert zu sein, unterhalten sich im Flüsterton und untersuchen offenbar das Tempelgrundstück. Ich freue mich sehr für sie, aber es ist auch gleichzeitig verstörend.
Etwas weiß ich auch über den Tempel des Airjitzu: In ihm spukt es immer noch. Ich könnte es den anderen sagen, aber Jay würde durchdrehen, also habe ich es für mich behalten. Geheimnisse.
Irgendetwas ist anders heute Nacht. Als ich aufwache, ist mein Zimmer in ein grelles, grünes Licht getaucht. Es erinnert mich daran, wie Lloyds Augen sich zu verändern begannen, nachdem Meister Wu verschwand. Er trainiert allein, sehr intensiv, und er verbindet sich mit seinen inneren Kräften… was auch immer das für eine Kraft sein mag. Er hat seine Sache ganz gut gemacht, Meister Wu zu vertreten, aber es ist offensichtlich, dass er sich nicht gerade sehr wohl mit der Situation fühlt.
Ein paar Sekunden lang versuche ich die Quelle dieses grünen Lichts ausfindig zu machen, als mit plötzlich klar wird, dass ich selbst die Ursache dafür bin. Das Licht kommt von mir. Aus der Narbe auf meiner Stirn. Und das ist nicht das Einzige, was anders ist.
In der Nähe des Fensters schwebt der Geist von Meister Yang in der Luft. Ich habe das Gefühl, dass er mich schon eine ganze Weile beobachtet. Ein Ausdruck von Traurigkeit steht ihm ins Gesicht geschrieben, den ich seit jener Nacht nicht mehr gesehen habe, als wir uns auf dem Dach des Tempels gegenüberstanden. Es war die Nacht, in der er mich verfluchen wollte, mir aber stattdessen das Leben rettete. Ich wurde wieder lebendig und er entschied sich als Meister des Hauses zurück zu bleiben… beziehungsweise mich zu retten, wie ich gleich erfahren würde.
Nach einem Moment des unangenehmen Schweigens frage ich ihn nach meiner glühenden Narbe. Seine Stimme zittert, als er spricht und die Antwort trifft mich wie ein Schlag.
„Mein lieber Cole. Das ist keine Narbe… es ist ein Portal. Und es wird sich bald öffnen…“.
Übersetzt von Eva Hammerschmidt 2021
Deutsche Übersetzung
„Cole! Cooole! Du verpasst noch das Training. Beeile Dich, oder Lloyd wird uns noch einen seiner Vorträge über Pünktlichkeit, Engagement und Disziplin halten. Und ich möchte mir keinen Vortrag über Pünktlichkeit, Engagement und Disziplin von ihm anhören. Coooole!“
Die schrille Stimme von Jay zerschnitt die kühle Morgenluft wie eine Sense. Es war oft windig und kalt im Tempel des Airjitzu. Das ist einer der Nachteile, wenn man hoch über den Wolken lebt. Ein weiterer war es, hoch und wieder hinunter zu kommen. Aber die Vorteile überwogen die Nachteile: zum Beispiel eine super Aussicht! Die Immobilienmaklerin Patty Keys schickte den Ninja ständig ihre Broschüren zu, um sie zum Verkauf zu überreden. Sie würden natürlich nicht verkaufen, und sie hatten ein zunehmend schlechtes Gewissen, da sich der arme Postbote deshalb mehrere Male im Monat zu ihnen herauf bemühen musste. Sein Job war auch nicht leichter geworden. Nya hatte eine Methode entwickelt, wie sie die schwebende Insel an andere Orte bewegen konnten, so wie es ihnen gerade passte. Alles, was man dazu brauchte, waren ein paar dicke Ketten und die starken Antriebsdüsen ihres Flugschiffs, der Destiny’s Bounty. Bedauerlicherweise machte die sich ständig ändernde Aussicht den Tempel für Patty Keys zu einem noch viel reizvollerem Objekt… was noch mehr Arbeit für den Postboten und sein altes, pedalbetriebenes Flugfahrrad bedeutete. Cole hatte in Erwägung gezogen Patty mitzuteilen, dass es in dem Tempel immer noch spukte, um sie loszuwerden. Aber um Jays Willen hatte er sich schließlich doch dagegen entschieden.
Cole war schon weit weg. Er war vor Tagesanbruch aufgebrochen, was ziemlich früh ist, wenn man auf einem schwebenden Berg lebt. Er war zu Fuß unterwegs und trug lediglich ein kleines Bündel mit Essen und absolut notwendigen Dingen (Kuchen) mit sich, sowie seine neue Lieblingswaffe, einen schweren Hammer, den er von seinem Vater Lou geschenkt bekommen hatte. Cole war froh, dass sein Vater sich mit dem Gedanken abgefunden hatte, dass er ein Ninja war und dass er ihm den Hammer geschenkt hatte, schien der endgültige Beweis dafür zu sein. Cole hatte die Waffe mittlerweile richtig ins Herz geschlossen. Zugegeben, man musste sich erst einmal daran gewöhnen, aber für den Meister der Erde schien es doch recht passend zu sein, einen Hammer zu schwingen.
Doch diese Gedanken beschäftigten ihn gar nicht so sehr, als er weiter wanderte. Vielmehr wurde er immer noch von seinem Traum verfolgt und dem, was Meister Yang ihm gesagt hatte.
Ich bin Yang … Ich war bekannt als der Meister ohne Schüler. Was Titel angeht, war ich damals sehr streng. Ein Sensei zu werden ist nicht leicht, also sollten einen die Leute auch respektieren. Mit meinen Schülern ging ich sehr streng um, was solche Formalitäten anging. Jetzt bin ich bloß noch ein Geist, ein Schatten meines glorreichen Daseins. Ich bin kein Sensei mehr, aber immer noch der Meister des Tempels des Airjitzu. Er schwebt im Himmel. Eine zeitlang irritierte mich das sehr, aber seit die Ninja eingezogen sind, habe ich ein paar Antworten erhalten. Zunächst fragte ich Cole, aber er wusste darüber ebensowenig wie ich. Jay und Nya allerdings schienen etwas zu wissen. Es ist mir gelungen, sie öfters zu belauschen und so habe ich einiges aufgeschnappt. Offenbar haben sich einige Dinge ereignet, die den berühmt berüchtigten Djinn Piratenkapitän Nadakhan involvierten und die dann wieder rückgängig gemacht wurden, und die Tatsache, dass mein Tempel nun in der Luft schwebt, ist wohl eine ungewöhnliche Folge dieser Ereignisse. Also ist Nadakhan noch irgendwo da draußen. Ich frage mich, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben. Gibt es eine besondere Methode, mit der Djinn den Tod austricksen können? Kann ein Djinn überhaupt sterben? Das sollte ich mir einmal näher ansehen.
Ich habe schreckliche Dinge getan, in meinem Bestreben nach Unsterblichkeit, Anerkennung und Ruhm. Mein Schicksal, das auf ewig mit diesem Tempel verbunden ist, ist eine gerechte Strafe und damit habe ich mich abgefunden. Manchmal schäme ich mich noch deswegen und ich hoffe, dass ich eines Tages in der Lage sein werde wiedergutzumachen, was ich meinen Schülern angetan habe. Nun habe ich nur noch einen Schüler: Cole. Wir haben uns darauf geeinigt, die Tatsache, dass ich hier bin, zunächst für uns zu behalten. Ich nehme an, dass der alte Wu auch einen Verdacht hat. Einmal starrte er minutenlang mein Gemälde, das im großen Dojo hängt, ganz intensiv an, dann kicherte er und zwinkerte, bevor er ging. Aber nun ist er fort und nur Cole weiß es mit Sicherheit.
Wir haben die Art unserer Beziehung lang und breit diskutiert. Sie ist aus einer Notwendigkeit heraus entstanden. Ich brauche unbedingt Gesellschaft. Das gebe ich nun zu. Und er hat immer noch sehr viele Fragen zu dem Umstand, dass sein eigenes Leben bereits mehrere Male mit dem Tod in Berührung gekommen ist.
Es gibt noch einen anderen Grund. Letzte Nacht habe ich ihm diesen endlich offenbart.
Bevor wir uns kennenlernten, habe ich dummerweise mit Leben und Tod herumexperimentiert. Jetzt zahle ich den Preis dafür. Nach dem Vorfall, als ich die Yin-Klinge benutzte, um mich selbst, den Tempel und meine Schüler zu verfluchen, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Ich nutzte diese Jahre der Gefangenschaft, um Flüche und das Leben nach dem Tode zu studieren. Und jenen Ort, nach dem ich mich am meisten sehne, den ich aber niemals betreten kann: das Jenseits; es ist der geheimnisvollste Ort von allen. Alle Einwohner von Ninjago, die verstorben und im wahrsten Sinne des Wortes untergegangen sind, sind dort gelandet. Nur wenige haben es von dort zurück geschafft. Normalerweise, also, wenn man von normal reden kann, was verschiedene Welten angeht, ist das Reisen zwischen diesen Welten auf unterschiedliche Art und Weise möglich. Aber das Jenseits ist anders. Beschwörungen, Drachen, Weltenkristalle, der Tee der Reisenden oder sonstige Hintertüren reichen hier nicht aus. Um in das Jenseits vorzudringen, braucht man ein Portal. Aber ein solches Portal, ein Spalt zwischen den Welten, ist gefährlich, instabil und scheint einen eigenen Willen zu haben – und man muss es mit Gewalt öffnen. Man kann sich nie sicher sein, was dabei herauskommt. Ich mache mir Sorgen um Cole.
Ich weiß nicht, was passieren wird, aber ich hatte seit dem Tag der Erinnerungen viel Zeit darüber nachzudenken. Es gibt viele Möglichkeiten, aber keine von ihnen ist wirklich gut. Cole ist bloß eine Schachfigur in diesem Spiel. Ich habe keinen Zweifel, dass an seinem Traum etwas Wahres dran ist, und sollte das so sein, wird er es nicht überleben. Das allein ist schon tragisch genug, aber ich fürchte, hier steht noch viel mehr auf dem Spiel. Was wird passieren, wenn sich solch ein Spalt unkontrolliert öffnet? Wird er sich ausbreiten? Wird er Ninjago gänzlich verschlingen, so wie er Cole in seinem Traum verschlungen hat? Werden die Seelen der Toten in der Lage sein Ninjago zu betreten? Und wenn es so ist, wie viele werden es sein und in welcher Form werden sie erscheinen? Das alles habe ich durch meine Taten am Tag der Erinnerungen ausgelöst. Ich begann schon zu glauben, dass jene schicksalhafte Nacht mehr Gutes als Böses hervorgebracht hat: Cole wurde wieder lebendig, der Fluch, der auf meinen Schülern lastete, wurde gebrochen und mein alter, einsamer Tempel wurde spirituell gereinigt und wurde den Ninja ein neues Zuhause. Aber jetzt sehe ich, dass das nicht wahr ist.
Der Portalspalt auf Coles Stirn MUSS geschlossen werden!
Übersetzt von Eva Hammerschmidt 2021
Deutsche Übersetzung
Es ist Nacht und ich bin müde. Bald werde ich schlafen müssen. Dass ich mich wieder auf diesen Traum einlassen muss, macht mir Angst. Das Lagerfeuer vor mir knistert. Es sollte mich eigentlich wärmen, aber mir ist kalt, so wie in meinem Traum. Zum hundertsten Mal frage ich mich, warum ich allein losgezogen bin. „Ninja lassen niemals einen anderen Ninja zurück. Arbeitet als Team. Vertraut euren Freunden.“ Alle diese Lektionen, die Meister Wu uns beibrachte. Warum ignoriere ich sie nun? Ich schätze, es gibt einige Dinge, die man einfach allein tun muss. Meister Wu ist damals allein losgezogen, um Acronix im niedergebrannten Kloster zu konfrontieren. Man sieht ja, wohin das geführt hat: Er ist rasend schnell gealtert und schließlich für immer irgendwo in der Zeit gefangen. Ich fühle mich, als hätte ich ihn verraten. Warum bin ich hier, folge meiner eigenen Mission, wenn Lloyd doch geschworen hat, dass wir nicht eher ruhen werden, bis wir ihn wiedergefunden haben? Wir haben überall gesucht, aber das hier ist nicht zu vergleichen mit der Suche nach einem verlorenen Paar Handschuhe. Meister Wu ging im Strom der Zeit verloren, also ist es nicht nur eine Frage nach dem „Wo“, sondern auch nach dem „Wann“. Es könnte unmöglich ein ihn zu finden. Vielleicht ist er im Hier und Jetzt noch nicht angekommen, oder er war schon hier und ist es nun nicht mehr. Wir alle wissen das. Keiner von uns hat es je laut ausgesprochen, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass Jay einige Male kurz davor war, genau das zu tun. Zurückhaltung von Jay… Stellt euch das mal vor! Ich schätze, wir werden älter. Er ist mein Partner bei der Suche. Zu Anfang hatte Lloyd uns aufgeteilt, um die Suche auszuweiten. Zwei pro Suchtrupp. Jay und ich, Kai und Zane, Nya und Lloyd.
Jay ist ein guter Weggefährte, wenn man den endlosen Strom von Worten ertragen kann, der auf einen zugerauscht kommt. Er quatscht ununterbrochen von der geheimen Identität des Samurai X und behauptet, er habe das Rätsel längst gelöst. Mittlerweile hatte er wohl schon jeden in Ninjago in Verdacht. Sogar jemanden namens Ekosan, obwohl er diese Theorie ganz schnell wieder fallen ließ und dann behauptete, er habe sie niemals überhaupt aufgestellt. Einmal war er kurz davor den armen, ahnungslosen Postboten anzugreifen, der mal wieder einen Flyer von Patty Keys brachte. „Gib es zu! Lüfte Dein Geheimnis!“, schrie er ihn an. Der arme Kerl begann irgendetwas darüber zu faseln, welche undurchsichtigen Praktiken angewandt würden um zu entscheiden, wessen Gesicht auf einer Briefmarke lande und wessen nicht. In einer guter Cop / böser Cop Situation wäre Jay definitiv der böse Cop. An dem Tag rettete Lloyd den Postboten und entschuldigte sich. Danach sahen wir ihn ganze sechs Wochen lang nicht.
Zuerst suchten wir die Bibliothek von Domu auf. Jay hatte diese ganzen wilden Theorien über Zeitreisen und vermutete, dass Meister Wu, wenn er in die Vergangenheit geschleudert worden wäre, uns dort eine Nachricht oder ein Buch hinterlassen hätte, das wir dann finden könnten. Er könnte alles mögliche verwendet haben, um uns eine Nachricht zu hinterlassen… am wahrscheinlichsten ein Medium, dass etwas haltbarer ist als Papier. Vielleicht in Stein gemeißelt? Als nächstes begannen wir Orte aufzusuchen, die für ihn eine besondere Bedeutung hatten: Das Kloster, in dem er mit seinem Bruder gelebt hatte. Die Höhlen der Verzweiflung, in denen Morro verstorben war. Zane und Kai haben sogar Ronin angeheuert, um sie zum Grab des Ersten Spinjitzu-Meisters zu bringen. Aber jeden sprichwörtlichen Stein umzudrehen ist leichter gesagt als getan. Ebenso wie die Phrase „Wir werden nicht eher ruhen, bis…“.
Deshalb sind wir ab und zu zum Tempel zurückgekehrt. Um auszuruhen. Aber wir sind alle rastlos. Also wurde die Rast stattdessen zum Training. Wir entdeckten neue Techniken und Möglichkeiten der Anwendung von Spinjitzu.
Ray und Maya waren auch nicht sehr hilfreich. Sie hatten die Zeitklingen erschaffen und eine davon befand sich immer noch in unserem Besitz. Aber eben nur die eine, und keinerlei Ideen, was wir damit tun sollten. Außerdem bestand Lloyd darauf, dass es zu gefährlich sei, die Klinge bei uns herumliegen zu haben, also haben Kai und Nya sie wieder zur Brodelnden See zurückgebracht. Dort ist sie in Sicherheit… nur ein Meister des Feuers und ein Meister des Wassers können dorthin gelangen.
Nachdem sie wieder mit Kai und Nya vereint waren, gingen Ray und Maya auf eine Reise durch Ninjago. Wahrscheinlich haben sie immer noch viel nachzuholen. Kai und Nya wussten so viele Jahre lang nicht, was ihnen zugestoßen war. Das muss furchtbar schwer gewesen sein. Und jetzt müssen sie das Ganze noch einmal durchmachen, aber mit Meister Wu. Ich habe es satt, immer wieder Menschen in meinem Leben zu verlieren! Ich hoffe, dass Ray und Maya Spaß haben und dass Kai und Nya imm…
Es ist eiskalt und ich friere schrecklich. Eigentlich sollte mir gar nicht kalt sein, da ich ja nicht einmal lebendig bin. Ich bin in einem Eislabyrinth. Es fühlt sich an, als…
Ich wache mit einem Ruck auf. Wo bin ich? Ich starre auf ein Lagerfeuer… oh ja… natürlich. Ich muss wohl für eine Sekunde eingenickt sein. Mann, dieser Traum ist sofort da. Er ist wie ein Raubtier, das mir nachschleicht und nur darauf wartet, dass ich einmal nicht aufpasse. Ich trinke einen Schluck Tee und esse ein Stück von Mrs. Walkers Streuselkuchen, den ich mitgenommen habe. Heute schmeckt er allerdings nicht so gut wie sonst. Ich bin mir sicher, dass es eher an meinem Gemütszustand liegt, als am Kuchen selbst, aber er schmeckt wie Asche… Ich spüle immer noch den Geschmack mit Tee hinunter. Kuchen zu essen ist wie ein Automatismus für mich. Es ist etwas, das ich manchmal tue, um meine Hände und meinen Mund zu beschäftigen. Ich liebe Kuchen, aber ich glaube, es wäre gesünder für mich, mal ein wenig kürzer zu treten. Und das nicht nur in dieser Hinsicht.
Ich denke über das nach, was Meister Yang mir erzählt hat. Er sagte mir, ich solle ihn nicht Meister nennen, aber es rutscht mir doch manchmal heraus. Auch wenn er an den Tempel gebunden ist, kann er immer sich noch in die Welt hinausbewegen, durch die Dinge, die er einmal besessen hat. So wie das Gemälde, das im Museum an der Wand hängt. Er war darauf bedacht mir nicht allzu viele Hoffnungen zu machen, aber er schlug vor, ich solle meine Suche in einem Dorf namens Nom beginnen. Der Name kommt mir bekannt vor, aber ich weiß nicht genau, woher. Wir waren alle zusammen, als er Kontakt zu mir aufnahm. Es kostete ihn all seine Konzentration. Es war sehr schwer für ihn aufgrund der Distanz, erklärte er mir später. Ich könnte schwören, ich hätte ihn beinahe schwitzen sehen. Ein Geist, der schwitzt… das ist ein Widerspruch in sich. Ich frage mich, ob ihn der Schweiß wohl gestört haben mochte. Geister-Logik… wer weiß das schon? Als er fertig war, war er völlig erschöpft. Er konnte kaum sprechen, sagte mir aber, dass er eine besondere Gegenwart in Nom gespürt habe, jemanden, der vielleicht etwas Licht ins Dunkel bringen könnte bezüglich meiner Situation. Wenn ich den ganzen Tag hindurch weiterlaufe, sollte ich es schaffen bis morgen Abend dort anzukommen.
Aber zunächst gibt es da noch ein großes Hindernis auf meinem Weg und es wird Zeit, dass ich meine Augen schließe und mich ihm stelle.
Ich trinke noch einen letzten Schluck Tee, schmeiße noch einen Holzscheit ins Feuer und verziehe das Gesicht, weil ich dummerweise keine Decke mitgebracht habe. Ich schätze, im Voraus zu planen ist nicht meine Stärke. Heute Nacht wird es sicher kalt. Ich schließe meine Augen und versuche an etwas Schönes zu denken.
Ich bin 5 Jahre alt. Ich sehe meinen Vater und meine Mutter, wie sie im Mondlicht auf der Terrasse vor unserem alten Haus tanzen. Sie haben mich schon ins Bett gebracht, aber ich habe mich wieder rausgeschlichen, um sie zu beobachten. Das tue ich oft. Mein Papa ist so elegant. Wenn ich groß bin, will ich auch Tänzer werden, genau wie er. Warum sollte ich auch irgendetwas anderes werden wollen, in einer Welt, die so perfekt ist?
… . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Es ist eiskalt und ich friere schrecklich.
Übersetzt von Eva Hammerschmidt 2021
Deutsche Übersetzung
Ich bin den ganzen Tag gelaufen.
Der Weg ist schwieriger als ich es mir vorgestellt hatte. Ich habe letzte Nacht nicht besonders viel geschlafen und werde es wohl nicht ganz bis nach Nom schaffen. Das bedeutet eine weitere Übernachtung im Freien ohne Decke. Letzte Nacht hat es angefangen zu regnen, also werde ich dafür sorgen, dass ich diesmal einen Unterschlupf finde.
Die Sonne geht unter. Hier ist ein Wald, der mir etwas Schutz bieten sollte. Ich werde gerade so weit hineinlaufen, wie ich den Waldrand noch erkennen kann, damit ich mich nicht verlaufe. Der laute Schrei eines Tieres zerreißt die Stille. Ich muss das Tier wohl aufgeschreckt haben. Ich wage mich weiter voran. Das Feuer wird – was auch immer es war – schon in Schach halten. An dieser Stelle befinden sich umgestürzte Bäume. Einige von ihnen scheinen entwurzelt oder bei einem Kampf abgeholzt worden zu sein, aber da sie bereits verrotten und vom Gestrüpp überwachsen sind, muss es wohl schon eine Weile her sein. Ich mache mir darüber keine weiteren Gedanken. Ich möchte es mir nur so warm wie möglich machen, ein wenig Streuselkuchen essen und mich darauf vorbereiten, so gut wie möglich mit meinem Traum fertig zu werden.
Eine der Alarmvorrichtungen wurde ausgelöst.
Es ist Zeit zu gehen. Mein Vater glaubt, ich sei paranoid, aber seit diesen seltsamen Zeitverschiebungen vor einem halben Jahr bin ich vorsichtiger geworden. Durch mein Fernrohr sehe ich ein schwaches Leuchten vom Waldrand her. Es ist vermutlich nur irgendein Reisender, aber man kann ja nicht vorsichtig genug sein. Ich bitte Jerahn mir meine Ausrüstung zu holen.
Während ich in den Wald gehe, komme ich an einem Haufen aufgestapelter Nindroiden vorbei. Sie liegen hier nun schon eine lange Zeit und einige haben angefangen zu rosten. Es ist ein schmerzlicher Anblick. Mein Vater sollte sich wirklich darum kümmern, dass sie wiederhergestellt werden. Er ist immerhin der Bürgermeister. Sie wecken Erinnerungen an andere Zeiten und erinnern mich daran, dass man nie voraussagen kann, was die Zukunft bringt. Aber ich muss mich auf die Gegenwart konzentrieren. Da ist ein Fremder in unseren Wäldern und ich kann mir nicht leisten das zu ignorieren. Lautlos wie ein Geist nähere ich mich der Zielperson. Das ist mein Ding. Tarnung und Überraschungsangriff. Trotz meiner metallenen Rüstung bewege ich mich mit Anmut. Ich verschmelze mit den Schatten und halte ein paar Rauchbomben bereit. In ein paar Sekunden werde ich mich zu erkennen geben, eingehüllt in eine Aura aus geheimnisvoller Magie. Wie ein Phantom, das von den Toten nach Ninjago zurückkehrt.
Ich beobachte die Gestalt aus der Dunkelheit heraus. Es ist nur eine Person, die über ein Feuer gebeugt dasitzt. Ein unheimliches, grünes Glühen geht von ihrer Stirn aus. Ein magisches Wesen? Ich kann keinerlei Gesichtszüge erkennen. An ihrer Seite liegt ein riesiger Hammer von ganz besonderer Machart, ganz anders als die Werkzeuge der Minenarbeiter in den westlichen Bergen. Ich muss auf der Hut sein.
Mein Erscheinen wird eine Reaktion bei der Zielperson hervorrufen und im Bruchteil einer Sekunde wird sich zeigen, mit was für einer Art Gegner ich es zu tun habe. Manche werden steif vor Angst. Manche rennen entsetzt davon. Nindroiden neigen dazu für einen kurzen Moment innezuhalten, während sie etwas analysieren, das nicht zu ihrer Programmierung passt. Die Zeit reicht für gewöhnlich aus, um ein paar von ihnen zu überwältigen. Häufig muss ich nicht einmal kämpfen, wenn ich mich zu erkennen gebe, aber ich bezweifle, dass dies hier der Fall sein wird. Mit voller Wucht schmeiße ich zwei Rauchbomben auf den Boden!
Ich höre ein zischendes Geräusch.
Instinktiv rolle ich zur Seite, nehme meinen Hammer auf und springe auf die Füße, in einer fließenden Bewegung. Die gesamte Umgebung ist in Rauch gehüllt, der das grüne Licht, das von meiner Narbe ausgeht, reflektiert. Eine donnernde Stimme ertönt.
„Ergib Dich dem Phantom!“
Mir dreht sich der Kopf. Phantom? Hat das irgendetwas mit dem Portalspalt zu tun? Ist irgendein Handlanger des Todes herbeigeeilt, um mich zu schnappen?
Die Erscheinung bricht durch die Rauchschwaden und ich kann gerade eben so zwei Schwerter abwehren. Und schon ist sie wieder verschwunden. Ich bin hier im Nachteil. Das ist keine gute Ausgangslage, um mit einem schweren Hammer zu kämpfen. Ich habe nicht genug Platz und der Rauch behindert meine Sicht. Wieder werde ich angegriffen. Ich wehre den Hieb der Schwerter ab, werde aber dabei zurück gestoßen. Gerade als ich mich wieder aufrichte, trifft mich ein Schlag in den Rücken. Die Hiebe sind nicht besonders heftig. Mir scheint, dass, wer auch immer sich in diesem Rauch versteckt, mich entwaffnen oder vertreiben will, aber nicht zuschlägt, um mich niederzustrecken. Es wird Zeit den Spieß umzudrehen. Mit aller Macht lasse ich den Hammer auf den Erdboden krachen. Der gesamte Wald erschüttert. Ich schlage meine Fäuste aneinander und sammle meine Energie, um in die Drehbewegung überzugehen. Die Welt um mich herum verschwimmt, als ich in meinem Spinjitzu-Tornado herumwirbele und dabei den Rauch verdränge, sowie ein paar kleinere Bäume umreiße. Ich stoppe den Tornado und greife nach meinem Hammer. Na bitte, das nenne ich schon eher eine Arena für einen Kampf!
„Cole?“ Die Stimme, die meinen Namen ruft, klingt fassungslos. „Ich hörte, Du wärst… gestorben… ein Geist… für immer verloren.“
Ich bin sprachlos.
Das hatte ich nicht erwartet. Sogar nicht. Ich stehe vor einem Freund von dem ich glaubte, er sei bereits tot. Ich hörte widersprüchliche Geschichten darüber, was mit ihm passiert war, und ich nehme an, ich hatte mich einfach auf das Schlimmste eingestellt. Aber hier ist er nun und sieht quicklebendig aus. Ich weiß gar nicht, was ich fühlen soll. Überraschung, Freude, Verwirrung, alle diese Emotionen vermischen sich zu einem dumpfen Wirrwarr. Ich lasse meine Schwerter sinken. Er sieht mich verwundert an, lässt seinen Hammer sinken und lächelt, als er spricht.
„Nom! Natürlich… jetzt weiß ich, wo ich diesen Namen schon einmal gehört habe! Hi Seliel! … Du ziehst immer noch dieses Phantom-Ninja-Ding durch, wie ich sehe.“
45 Minuten später kamen Cole und Seliel in Nom an.
Auf dem Weg dorthin hatten die beiden viel Zeit, um sich über das, was in den letzten Jahren passiert war, auszutauschen und es war ein sehr fröhlicher und angenehmer Spaziergang. Seliel war sehr überrascht von Nya und Ihren Elementarkräften des Wassers zu hören. Offensichtlich war ein Schwindler namens Lar im Dorf aufgetaucht und hatte allen weismachen wollen, er sei der Meister des Wassers. Er hatte sogar einen Verleger vor Ort an der Nase herumgeführt und ihn dazu gebracht, Geschichten über seine „legendären“ Schlachten zu veröffentlichen. Seliel war fürchterlich wütend, bis Cole sie daran erinnerte, dass sie selbst so eine Art Betrügerin sei. Wenn überhaupt jemand das Recht hatte, sich selbst den „Phantom-Ninja“ zu nennen, dann war doch wohl er es. Zumindest bis vor Kurzem.
Cole hatte es unterlassen bezüglich seiner Narbe oder seiner Träume ins Detail zu gehen. Alles, was er erwähnt hatte, war, dass sein Meister ihn auf eine Mission nach Nom geschickt habe, um dort jemanden zu treffen.
Phantom? Cole frage sich, ob Seliel die Person war, die er hier treffen sollte. Könnte es sein, dass Meister Yang fälschlicherweise glaubte, der „Phantom-Ninja“ sei ein richtiger Geist, der Informationen über das Reich der Toten und den Portalspalt haben könnte?
Seliel redet weiter darüber, wie gut sich Nom entwickelt hat. Ganz offensichtlich ist sie stolz darauf, wie ihr Vater die Dorfmanufakturen in erfolgreiche Elektronik-Fabriken umgewandelt hat. Sie machen inzwischen sogar Geschäfte mit Borg Industries und es ist offensichtlich, dass dies die Stadtentwicklung ein gutes Stück vorangebracht hat. Ich werde eingeladen im Rathaus zu übernachten. Seliel sagt, es gibt da jemanden, den ich morgen unbedingt kennenlernen soll.
Übersetzt von Eva Hammerschmidt 2021
Deutsche Übersetzung
Am nächsten Morgen fragt mich Seliel, ob ich gut geschlafen habe. Ich lüge und sage ihr, dass dies der Fall sei. Sie zeigt mir kurz die Stadt. Sie hat sich sehr verändert, seit wir das letzte Mal hier waren. Verzierte Gebäude wurden im Stil und der Tradition der Edo-Zeit gebaut. Das erinnert mich sehr an den Tempel des Airjitzu und das gesamte Dorf hat dadurch sehr an Charme gewonnen. Alles scheint sehr authentisch zu sein. Als ich sie danach frage, sagt Seliel mir, das einiges davon tatsächlich authentisch ist. Das Material wurde aus mehreren hundert Meilen südlich gelegenen, verfallenen Dörfern hierhergebracht und restauriert.
Ich frage mich, was Patty Keys wohl daraus machen würde. Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich das für mich behalte, sonst bedeutet das für den armen Postboten einen weiteren Schritt in Richtung eines frühen Grabes. Wir sollten wirklich mal mit Cyrus Borg sprechen und ihn dazu bewegen, für den armen Mann etwas zu entwickeln, das ihm das Leben leichter macht.
Wir kommen bei einem Dojo an. Seliel präsentiert es stolz als das „Phantom Dojo“. Ich muss wohl unangemessen reagiert haben, da sie plötzlich rot wird und beginnt darüber zu plappern, wie albern dieser Name doch sei und dass sie beabsichtigt, ihn zu ändern. Nya ist ihre große Inspiration, nicht zuletzt weil sie es geschafft hat, ihre wahre Identität zu verbergen und wegen der Gerüchte über die Samurai X-Höhle. Ich erzähle ihr vom neuen Samurai X und dass niemand weiß, wer er ist. Großer Fehler! Sie überschüttet mich mit Fragen, die ich nicht beantworten kann, also lenke ich vom Thema ab, indem ich sie bitte mir das Innere des Dojo zu zeigen.
Cole wirkt igendwie abgelenkt. Ich fühle mich töricht, weil ich versucht habe, ihn mit dem blöden Namen meines Dojo zu beeindrucken, allerdings glaube ich, dass er mit dem Kopf ganz woanders ist. Außerdem versuche ich nur Zeit zu schinden. Diese leuchtende Narbe auf seinem Gesicht. Er ist meinen Fragen dazu ausgewichen, aber es ist doch offensichtlich, dass sie keine natürliche Ursache hat. Und darum möchte ich auch, dass er sich mit Jerahn trifft. Er ist mein Gehilfe und mein Trainingspartner. Er ist jünger als ich, aber seine Seele scheint viel älter zu sein. Er ist mir irgendwie ein Rätsel, aber ich vertraue ihm. Er kam vor sechs Monaten hierher. Er redete nicht viel und schien verstört zu sein, verwirrt und ziellos. So wie jemand, dessen Leben umgekrempelt wurde und der nun auf der Suche nach einem neuen Lebensinhalt ist. Unsere Gesellschaft ist sehr offen für Neues – mein Vater besteht darauf – also nahmen wir ihn bei uns auf, gaben ihm ein Zuhause und boten ihm Kost und Logie im Austausch für seine Arbeit an. Er renoviert Gebäude für uns. Damit stellte er sich als nützlicher heraus, als wir es uns hätten vorstellen können.
Ah, da ist er ja! Er hält inne, als er den Raum betritt und starrt Cole an, als ob er einen Geist gesehen hätte. Die Verwunderung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Nein… keine Verwunderung. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht ganz deuten. Unter anderem ist auch ein wenig Überraschung darin zu erkennen. Einen Moment lang, sagt niemand ein Wort. Ich sehe zu Cole hinüber. Außer einem höflichen Lächeln zeigt er keinerlei Reaktion. Jerahn durchquert den Raum und starrt dabei eindringlich auf Coles Narbe. Dann sieht er Cole in die Augen.
„Du siehst anders aus!“ Diese Begrüßung trifft Cole unerwartet.
„Sind wir uns schon einmal begegnet? Kennen wir uns etwa?“, entgegnet Cole.
„Wir haben uns schon einmal gesehen. Aber wir wurden einander nie offiziell vorgestellt. Als wir uns das letzte Mal trafen, hast Du mir ins Gesicht geschlagen.“
Nun sieht Cole völlig verwirrt aus.
„Damals kanntest Du meinen Name nicht. Du hast mich Chuck genannt.“
Ich fühle mich, als wäre ich von meinem eigenen Hammer getroffen worden. Und zwar mit voller Wucht! Den Typen erkenne ich zwar nicht, aber an die Situation kann ich mich sehr wohl erinnern.
Es ist Abend, am Tag der Erinnerungen. Ich bin mit diesen speziellen Ketten gefesselt, die bei Geistern funktionieren. Ich muss Yang aufhalten und ich gebe mein Bestes, um meinen Wächter davon zu überzeugen. Als das nichts bringt, versuche ich ihn auf andere Weise zu „überzeugen“. Ich habe seit jener Nacht oft über diese Situation nachgedacht. Ich sage das erste, was mir in den Sinn kommt. Und das ist nicht besonders clever.
„Ich wußte gar nicht, dass Du lange Haare hast… und es tut mir leid… dass ich Dich geschlagen habe… und dich beschimpft habe, schätze ich.“
Jerahn strahlt. „Machst Du Witze? Du hast mich… uns… befreit. Sieh mich doch mal an! Ich bin wieder ein richtiger Mensch. Du kannst mich den ganzen Tag lang Chuck rufen, wenn dir danach ist. Ich schulde dir was!“
Erleichtert atme ich auf, aber ich weiß immer noch nicht so recht, was ich sagen soll. Nach einem unangenehmen Moment des Schweigens, schaltet Seliel sich ein. Dafür bin ich ihr wirklich dankbar.
„Das hier ist Jerahn. Er ist unser bester Zimmermann. Oder zumindest unser geschicktester. Wann immer du ein Dach geflickt haben musst, bist du bei Jerahn genau richtig. Er weiß genau, wie man einen Hammer schwingt und er kann AIRJITZU!“
Lächelnd blickt Jerahn auf den Hammer, der an meinem Rücken hängt. „Nun, dann sind wir wohl schon zwei.“
Mein Kopf platzt bald vor lauter Fragen. Also hatte Yang recht! Es gab hier wirklich jemanden, der mir helfen könnte. Aber wie könnte Yang diesen Ort erreichen? Warum wollte Seliel, dass wir uns treffen, und wusste sie davon, dass uns etwas verbindet? Bevor ich diese Frage stellen kann, fragt Seliel mich erneut nach meiner Narbe. Sie sieht gerade sehr streng aus. Als ich versuche der Frage auszuweichen, fällt sie mir ins Wort. Sie will ganz genau wissen, worum es sich dabei handelt. Jerahn is das offenbar unangenehm. Meine Gedanken überschlagen sich. Soll ich die Wahrheit sagen? Was sollte ich erzählen? Ich weiß ja selbst kaum etwas und es ist schließlich auch ganz was Persönliches. Da stehen wir nun und die Anspannung wird unerträglich.
Seliels Augen wandern zu Jerahn, als würde sie ihm einen unausgesprochenen Befehl geben. Jerahn streicht sich das hellbraune Haar aus dem Gesicht. Und da sehe ich es. Die gleiche Form und die gleiche Stelle wie bei mir. Nur mit dem Unterschied, dass bei ihm nichts leuchtet. Es sieht mehr nach einer richtigen Narbe aus. Ist es eine Narbe?
„Die ist ein paar Tage später einfach an mir aufgetaucht.“, sagt er. „Die anderen haben auch welche. Sie sind allerdings nicht die ganze Zeit über sichtbar. Sie erscheinen und verschwinden dann wieder. Es tut nicht weh, wenn sie sichtbar sind. Nur dann, wenn sie erscheinen und verschwinden. Sie sind auch unterschiedlich lange zu sehen.“
Ich reiße meinen Blick von seiner Narbe los und sehe ihm direkt in die Augen. „Hattest du… Träume?“
Diese Frage gefällt ihm gar nicht. Ängstlich sieht er hinüber zu Seliel und das schlechte Gewissen steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er hat ihr nichts davon erzählt.
„Ich… ich muss gehen. Ich habe noch… ein Dach zu decken,“ stottert er und schickt sich an das Dojo zu verlassen.
Seliel sieht NICHT glücklich aus. „Ich schätze es gar nicht, wenn Geheinmisse über seltsame Narben, unkontrollierte Magie und gemeinschaftliche Alpträume in meiner Stadt kursieren! Wir sind noch nicht fertig miteinander!“
Übersetzt von Eva Hammerschmidt 2021
Deutsche Übersetzung
Ich spiele mit meinen Kräften herum, während ich warte, und mache eine Skulptur von Cole.
Das gelingt mir mühelos. Jahrelang habe ich jede Interaktion mit ihm in meiner Datenbank gespeichert und kann diese leicht abrufen. Jetzt ist er schon zwei Tage weg. Ich sehe mir an, wie sich das Licht in seiner Eisstatue bricht. Es ist ein heißer Tag und bald schon wird sie ganz verschwunden sein. Ich hätte sie gar nicht machen sollen. Ich stelle fest, dass laut meinem Emotions-Chip die Stimmung sinkt. Zwei Tage sind nicht gerade eine lange Zeit, aber die Umstände seines Verschwindens beunruhigen mich. Und die Notiz, die er hinterließ war äußerst verwirrend.
Sie wird bald hier sein. Sie ist immer pünktlich. Ich sehe hinauf zu der schwebenden Insel am Himmel. Dies ist eine Gleichung, die ich nicht lösen kann. Ich habe zahllose Szenarien durchgespielt, aber keine von ihnen ergibt einen Sinn. Sogar mit den neuesten Verbesserungen meiner Programme komme ich zu keinem logischen Ergebnis. Ich frage mich, ob ich es verstehen würde, wenn P.I.X.A.L. noch in meinem Kopf wäre. Ich komme zu dem Schluss, dass es einige Dinge auf dieser Welt gibt, die sich mit Logik einfach nicht erklären lassen. So wie meine eigenen Elementarkräfte. Ich habe vage Erinnerungen daran, wie ich sie erhielt, aber auch das kann ich mir nicht logisch erklären. Ich weiß nur, dass sie irgendwann da waren.
In der Ferne sehe ich eine Staubwolke. Ein Auto nähert sich. Das lässt meinen Emotions-Chip wieder etwas positivere Signale ausstoßen. Claire ist immer gute Gesellschaft. Es ist gut auch mal eine Meinung von außen zu hören.
„Hi Zane! Ganz schön heiß heute, nicht wahr?“ Claires Blick wandert zu der Pfütze, die sich unter dem deformierten Eisblock gebildet hat, der eben noch Ähnlichkeit mit Cole hatte, aber sie verkneift sich einen Kommentar. „Bereit für ein wenig Hausarbeit? Also, ich auf jeden Fall!“
Claire scheint unheimlich gerne hierher zu kommen. Auch wenn ihre Aufgaben den Tempel sauber zu halten und kleinere Reparaturen durchzuführen banal erscheinen, wirkt sie immer so fröhlich. Sie ist mit diesem Tempel verbunden. Früher, als der Tempel noch verflucht war und von dem Geist Sensei Yangs heimgesucht wurde, war ihr Vater hier der Hausmeister. Damals war dieser Ort noch eine Touristenattraktion. Ihr Vater hat allerdings nicht gerade einen besonders guten Job gemacht. Claire erzählte mir, dass er felsenfest daran glaubte, dass es in diesem Tempel spukte und er große Angst davor hatte. Das war auch der Grund, warum sich der Tempel in so einem schlechten Zustand befand. Er wollte nicht einmal in die Nähe des Gebäudes gehen und kümmerte sich stattdessen nur um den Tempelgarten. Im Gegensatz zu ihrem Vater, hat Claire vor gar nichts Angst. Sie hat sich oft hineingeschlichen, um das Treppenhaus, die Studierzimmer, Flure, den Trainingsraum, das Atelier und so weiter zu erkunden. Ich nehme an, dass sie das Innere des Tempels besser kennt als wir. Heute scheint sie besonders motiviert zu sein.
„Können wir ein paar Runden um den Tempel drehen?!?! Bitte!!!“
Ich wusste, dass diese Frage kommen würde. Und ich fühle mich nicht wohl damit. Während der letzen Monate wurde es zunehmend schwieriger für mich meinen Elementardrachen heraufzubeschwören. Ich muss mich viel stärker darauf konzentrieren als sonst. Die Anderen haben es auch schon gespürt. Ich habe Simulationen auf Basis der Annahme durchgeführt, dass es etwas mit Meister Wus Verschwinden zu tun hat, aber die Ergebnisse sind nicht aufschlussreich. Möglicherweise ist das wieder so eine Sache, die sich mit Logik nicht erklären lässt.
Schließlich sage ich, „Natürlich, Claire! Ein Flug um den Tempel wäre äußerst zufriedenstellend.“ Es widerspricht meiner Programmierung jemanden in Gefahr zu bringen, also werde ich mich anstrengen, den Flug so sicher wie möglich zu gestalten.
Es ist äußerst interessant Claire zu beobachten, als wir uns mit meinem Eisdrachen in die Lüfte erheben. Ich konzentriere mich auf den Drachen, aber es ist schwer, die pure und unverfälschte Freude, die sie versprüht, zu ignorieren. Unser Leben ist geprägt durch Pflicht und Verantwortung. Claire muss diese Last nicht tragen. Ich bewundere und beneide sie deswegen. Tatsächlich genieße ich die paar Runden um den Tempel, während Claire eifrig Misako zuwinkt, die gerade die Koi-Fische im Teich füttert.
Als wir zur Landung ansetzen, verschwendet Claire keine Zeit. Sie liebt diesen Tempel, und die Tatsache, dass er nun in der Luft schwebt und sich in einem tadellosen Zustand befindet, ist nur ein weiterer Pluspunkt in ihren Augen. Sie scheint allerdings ein wenig enttäuscht darüber zu sein, dass es dort nicht länger spukt. Sie kichert, als sie darüber spricht, dass dies genau der Grund war, warum ihr Vater sich von diesem Ort fernhielt. Jetzt, wo es nicht mehr spukt, wäre es kein Problem mehr für ihn sich um das Gelände zu kümmern. Leider hat er Höhenangst.
Es war Lloyds Idee, dass wir uns Hilfe für die Arbeiten am Tempel holen sollten. Wir müssen uns schließlich auf unsere Aufgabe konzentrieren, Meister Wu wiederzufinden. Bald werden wir wieder aufbrechen. Ich schätze, Jay wird einen neuen Partner für die Suchmission brauchen. Misako vielleicht. Sie drückt Claire warmherzig zur Begrüßung.
„Bei Wohira, hier sieht’s super aus! Vor noch nicht einmal einem Jahr war hier das reinste Chaos. Zugegeben, ein echt cooles Chaos, aber seht es euch jetzt an! Papa hatte seine Mühe damit die Plünderer fernzuhalten, aber jetzt wo das Ganze in der Luft schwebt, habt ihr damit wohl keine Probleme mehr, was?“
Misako kichert. „Ganz und gar nicht. Die besten Ninja des Landes und ein paar Elementardrachen hier zu haben, ist natürlich auch sehr hilfreich!“
Wir haben Misako noch nichts davon gesagt, dass wir zunehmend Schwierigkeiten haben unsere Elementardrachen zu rufen. Der Verlust Meister Wus hat sie schwer getroffen. Sie ist ebenso motiviert wie wir, ihn so schnell wie möglich wiederzufinden. Sie versucht es sich nicht anmerken zu lassen, aber ich kann ihren Schmerz spüren. Überall hängt sie Fotos auf. Nicht nur von ihm, sondern auch von uns, unseren Freunden und denen, die uns wichtig sind. Sogar vom Flugsegler. Ich habe sie noch nie so gesehen. Wenn man einen Verlust erlitten hat, fängt man an über sein Leben nachzudenken und weiß die guten Dinge, die einem widerfahren sind, besser zu schätzen. Mit dieser Logik haben meine Prozessoren kein Problem.
„Folge mir!“, ruft Jerahn, als er die Straße hinunterblickt, um sicherzustellen, dass wir nicht gesehen werden. Mir gefällt es nicht, Seliels Gastfreundschaft auf diese Weise zu missbrauchen. Aber immerhin ist das ja der Grund, aus dem Meister Yang mich hierher geschickt hat, also versuche ich meine Schuldgefühle zu verdrängen. Er beobachtet die Straße genau, um sicher zu sein, dass die Luft rein ist, und dann benutzt er sein Airjitzu, um auf das Dach des höchsten Gebäudes zu kommen. Ich folge ihm. Als ich neben ihm lande, ist er schon dabei ein paar Holzbretter von der Seitenwand zu entfernen.
„Diesen Ort habe ich nicht zufällig ausgewählt. Ich bin einer Spur gefolgt.“ Sein Tonfall ist ernst. „Komm rein. Niemand weiß, dass dieser Raum existiert.“
Es ist dunkel hier drin. Nur das Leuchten meines Portalspalts erhellt den Raum. Jetzt verstehe ich, warum Jerahn so geheimnisvoll tut. Der Raum ist voller verzierter Artefakte, Vasen, Waffen, Statuen und Gemälde. Er dreht sich zu mir um und sieht mir direkt in die Augen.
„Diese ganze Zeug stammt aus der Edo-Periode. Alles Originale. Die Siedlungen, aus denen das ganze Baumaterial und auch diese Zeug hier stammt, sind alle verlassen. Niemand weiß, warum, wann es geschah oder was mit den Menschen passiert ist, die dort lebten. Sie sind einfach gegangen… oder wurden dazu gezwungen. Niemand weiß, was geschah!“ Jerahn muss schlucken. „Und das ist noch nicht alles. Hier liegen nicht nur Gegenstände aus diesen Siedlungen. Es gibt da noch etwas anderes. Etwas, das ich vor Jahren angefertigt habe. Damals, als ich noch ein Geist war.“ Er deutet in die Ecke des Raumes. Und dort hängt, in das grüne Licht meines Portalspalts getaucht, ein Portrait von Meister Yang.
Übersetzt von Eva Hammerschmidt 2021